Berlin, Juli 2022 – Moderne Immuntherapien zur Krebsbehandlung verursachen in bis zu einem Viertel aller Fälle Unter- oder Überfunktionen der Schilddrüse. Damit verbundene Beschwerden wie Müdigkeit, Depression, Schlafstörungen und Gewichtsschwankungen werden jedoch oft der Krebserkrankung zugeschrieben. Es sei daher ratsam, die Schilddrüse vor und während der Immuntherapie zu untersuchen, um eine Fehlfunktion frühzeitig zu erkennen und zu therapieren, empfiehlt der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner e.V. (BDN). Warum die neuen Medikamente Autoimmunstörungen auslösen, ist bisher nicht erforscht. Die Immunbehandlung kann jedoch in der Regel fortgeführt werden.
Immuntherapien nutzen das körpereigene Immunsystem, um Krebs zu bekämpfen – Brustkrebs, aber auch Tumoren im Gehirn, der Niere, der Lunge oder Haut. Häufig kommen sogenannte Checkpoint-Inhibitoren zum Einsatz. Das sind Antikörper, die gezielt „Bremsen“ in den Immunzellen lösen, die eine Tumorbekämpfung verhindern. „Checkpoint-Hemmer triggern gewissermaßen die natürliche Abwehr“, erläutert BDN-Expertin Dr. med. Barbara Kreppel. Allerdings hat die Immuntherapie auch Nebenwirkungen, die sich an allen Organen oder Geweben zeigen können. „Häufig ist die Schilddrüse betroffen“, ergänzt die Leiterin des Schilddrüsenzentrums an der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Bonn.
Duerhafte Einnahme von Schilddrüsenmedikamenten
Warum die Immuntherapie die Funktion der Schilddrüse stört, ist nicht abschließend geklärt. „Wir wissen aber, dass dies meist zu Beginn der Behandlung passiert“, so Kreppel. „Es tritt zunächst eine Überfunktion auf, die entweder wieder verschwindet oder schnell in eine Unterfunktion übergeht.“ In drei bis 25 Prozent der Fälle bleibt die nebenwirkungsbedingte Unterfunktion bestehen, wie Studien belegen. „Im Ultraschall ist dann die Schädigung der Schilddrüse zu sehen – das gesunde Gewebe zerfällt, zeigt eine aufgelockerte, ungleichförmige Struktur, bis das Organ im weiteren Verlauf schrumpfen kann“, so Kreppel. Bei vielen Patientinnen und Patienten ist eine Einnahme von Schilddrüsenhormonen dauerhaft erforderlich.
Bislang besteht die Schwierigkeit darin, die Betroffenen zu erkennen. „Bei den immuntherapiebedingten Schilddrüsen-Entgleisungen handelt sich um ein vergleichsweise neues Phänomen“, sagt die Bonner Nuklearmedizinerin. Erschwerend komme hinzu, dass die Symptome leicht mit den Auswirkungen der Krebserkrankung oder -therapie verwechselt werden können. „Anspannung, Herzrasen, Gewichtsabnahme, Schwitzen – diese Anzeichen einer Überfunktion können schnell mit psychischem Stress in Verbindung gebracht werden“, bestätigt Professor Dr. med. Detlef Moka, Vorsitzender des BDN. Verwechslungsgefahr besteht auch bei den diffusen Beschwerden einer Unterfunktion, etwa bei unerklärlicher Gewichtszunahme, Frieren, Verstopfung, Wassereinlagerungen an Beinen und Augen oder Schlappheit.
Früh auf die Schilddrüse achten
Deshalb raten die BDN-Expert*innen bereits vor Beginn der Immuntherapie zu einer Blutuntersuchung der Schilddrüsenhormone und -Antikörper, gegebenenfalls auch einem Ultraschall. „Während der Immuntherapie sollten die Schilddrüsenhormone dann regelmäßig kontrolliert werden“, so Moka. „Bei Auffälligkeiten oder Beschwerden lassen sich die Patientinnen und Patienten am besten in die Nuklearmedizin oder Endokrinologie überweisen.“
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Quellen:
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